Eugen Grimminger Schule (Druckversion)

Reichspogromnacht

Herzlich Willkommen zu dieser Gedenkfeier zum 9. November?

So hätte ich die Versammelten am 9. November dieses Jahres willkommen geheißen, dem Tag der Erinnerung an die Reichspogromnacht von 1938, in der deutschlandweit die Synagogen brannten, jüdische Geschäfte geplündert wurden, hunderte jüdische Menschen auf offener Straße misshandelt, ja ermordet wurden, Frauen vergewaltigt.

Diese für uns heutzutage unvorstellbaren Gräueltaten läutete die Absicht des verbrecherischen Naziregimes ein, die jüdischen Mitbürgerinnen zu vertreiben und sie in Vernichtungslager zu deportierten.   

Wie kam es zu solch diesem Verbrechen an Menschen mit einer anderen Religion? 

Seit Adolf Hitler zusammen mit der NSDAP die Macht der deutschen Reichsregierung ergriff und den Weg für die nationalsozialistische Diktatur ebnete, standen Intellektuelle, Künstler, politisch Andersdenkende und vor allem Menschen jüdischen Glaubens auf seiner Abschussliste. Er fürchtete ihre Macht, ihre Kritik, ihren Widerstand, zudem war er ein Rassist. Ein 1933 von ihm ausgerufener Boykott aller jüdischen Geschäfte drängte jüdische Mitbürger aus dem Wirtschafts- dem Geistes- und Kulturleben. Er entzog ihnen ihren Lebensunterhalt, damit ihre Anerkennung, ihren Erfolg. Die Betroffenen ahnten, dass es noch schlimmer kommen würde. Hunderttausende emigrierten, meist unter Zurücklassung ihres gesamten Besitzes. Unter ihnen der Sänger Richard Tauber, die Komponisten Fritz Mahler und Alma Mahler-Werfel, die Künstler Max Ernst, Lionel Feininger, Paul Klee, die Physikerin Lise Meitner, der Physiker Albert Einstein. 

Diejenigen, denen die Flucht nicht mehr gelang, weil ihnen die Beziehungen fehlten oder das nötige Geld, wurden gesellschaftlich diskriminiert und juristisch ausgegrenzt. Die „Nürnberger Gesetze 1935“, degradierten jüdische Menschen zu Bürgerinnen und Bürger minderen Rechts und öffneten die Tür zu ihrer Enteignung. Jüdischer Besitz wurde für einen beschämend geringen Preis konfisziert, das Geld auf der Bank eingefroren. Doch Ausgrenzung, Konfiszierung des Eigentums, Entrechtung und eine unfassbare Herabwürdigung waren nur die Vorstufe von Hitlers Plan. Es folgte die Deportation in industriell organisierte Vernichtungslager, in denen sie als Arbeitskräfte ausgebeutet und letztendlich getötet wurden. Seit seiner Machtergreifung 1933 bis zum Beginn des zweiten Weltkriegs verschwanden ehemalige Stadt- oder Dorfgemeinschaften. Die als “Untermenschen” diffamierten jüdischen Mitbürger mussten die Ausgrenzung aus der Schule, dem Beruf, aus den Vereinen, ja aus dem Gemeinderat hinnehmen. Diejenigen Nachbarn und Mitbürger, die diesen Vernichtungsbestrebungen kritisch gegenüberstanden, die das Unrecht äußerten, sich mit ihren jüdischen Mitbürgern solidarisierten, sie aktiv schützten, wurden selbst zur Zielscheibe. Selbst ihnen drohten harte Strafen, ihr Leben war bedroht.   

„Das war damals“, könnte man heute sagen, „das hat mit uns heute nichts mehr zu tun.“ Ich sage deutlich: Das hat sehr wohl mit uns heute etwas zu tun. Der Rechtsextremismus erobert sich die Parlamente, die Straßen, die Vereine, die Internetforen. Rechtextremistische Kampfsportgruppen, die Fußball-Hooliganszene, die rechtsextremen Internet-Plattformen, Gaming-Apps, mediale Netzwerke usw. finden wieder Zulauf. Unzufriedene junge Menschen lassen sich offen aus durch eine pauschale Verurteilung, einer Hetze gegenüber Menschen einer anderen Kultur, einer anderen Religion. Der Verfassungsschutz warnt vor einer wachsenden Gefahr durch gewaltbereite Rechtsextremisten in Deutschland. „Der Rechtsextremismus ist derzeit die größte Bedrohung für unseren demokratischen Rechtsstaat”, so unser Bundesinnenminister im Sommer dieses Jahres. 

Was hilft dagegen? Ich meine: Informationen, Aufklärung, Öffentlichkeit. Genau dazu waren drei junge Frauen, Schülerinnen der Eugen-Grimminger-Schule auf meine Nachfrage hin bereit: Joy-Jasmine Zinnecker, Lara Schneider und Leonie Karger. Im Juli dieses Jahres packten wir ein Projekt für diesen Gedenktag an. Wir informierten uns über das Schicksal junger Crailsheimerinnen jüdischen Glaubens in den Jahren 1940/41 anhand persönlicher Dokumente aus unserem Stadtarchiv. Die Schülerinnen fühlten sich zunehmend in die Situation der jungen Frauen damals ein. Joy sprach das Schicksal von Mina Stein ganz besonders an, Laura das von Sofie Rosenfeld und Lara das von Lina Friedmann. Erst schüchtern, etwas zurückhaltend, dann immer mutiger und ausdrucksstärker schlüpften die drei Schülerinnen in die fremde Rolle und drückten ihr Los mit ihren eigenen Worten aus.

Ich war begeistert, mit wie viel Herzblut und Einfühlungsvermögen Joy, Lara und Laura das Schicksal von Mina, Sofie, Lina in den Jahren 1940/41 darstellten, um es der Öffentlichkeit zu präsentieren. Zu schade, dass wir dieses “zeitgeschichtliche Dokument” nicht miterleben dürfen. Trösten wir uns “auf ein andermal”. Hoffentlich.  

Christiane Pappenscheller-Simon (Vorsitzende der Crailsheimer Initiative Erinnerung und Verantwortung )

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